Als Tochter war ich ganz lange ahnungslos und noch heute, fast zwei Jahre nach dem Tod meiner Mutter frage ich mich oft, wann es angefangen hat, warum habe ich nichts gemerkt habe und warum meine Mutter nicht mit mir gesprochen hat. Manchmal bin ich unendlich traurig, dass meine Mutter so lange alleine war mit der Ungewissheit. Die Vorstellung, welche Ängste sie wohl ausgestanden hat und wie oft sie meine Ungeduld aushalten musste schmerzen mich sehr.

Meine Mutter war eine starke Frau. Nach einer Krankheit, die Sie stark beeinträchtigt hat, hat sie sich zurückgekämpft und mich und meinen Bruder alleine großgezogen. Gut eingebunden im Familien- und Freundesverbund hat Sie alleine ihr Leben gemeistert.

Gemeinsame Urlaube, auch mit den Enkelkindern und gegenseitige Besuche waren die Regel. Allerdings fiel immer mehr auf, dass sie das Kochen, Einkaufen und Planen abgab. Das sie Arzttermine nicht wahrnahm und auch sonst sehr angespannt war. Vor allem, wenn nicht alles an seinem Platz war, zum Beispiel die Enkelkinder Unordnung machten brachte Sie das sogar zum Weinen. Ich habe vieles an Ihrem Verhalten nicht verstanden. Wir haben oft wir gestritten, die Stimmung war angespannt, alles war plötzlich schwierig. Früher bin ich zu Besuch nach Hause gekommen, das Lieblingsessen stand auf dem Tisch und der Kuchen war gebacken…. ich war einfach wieder Kind. Diese Rollen-Verteilung gab es zu Hause immer weniger.

Es kamen Gedanken auf, ob Sie vielleicht zu wenig trinkt oder die falschen Tabletten nimmt. Nach einem gemeinsamen Besuch beim Hausarzt wurde dies allerdings verneint – ich glaube er hat mich für leicht überdreht gehalten.

Aber irgendetwas stimmte nicht.

Im laufe der Zeit wurden die Veränderungen deutlicher. Es wurden Rechnungen nicht bezahlt, die Telefonate wurden immer einsilbiger, oft ist Sie erst mittags aufgestanden und der Haushalt war vernachlässigt.

Sicherlich würden aus heutiger Sicht alle Alarmglocken läuten, aber damals habe ich die Anzeichen nicht erkennen können. Bis ich mit einer Freundin darüber sprach und erstmalig das Wort DEMENZ fiel. Ihre Mutter war daran erkrankt und sie nannte mir einen Neurologen, an den ich mich wenden sollte., da ich damals noch nie von dieser Krankheit gehört hatte.

Sehr erstaunt war ich über die sofortige Zustimmung meiner Mutter diesen Arzt aufzusuchen. Sie stimmte mir zu, dass irgendetwas mir ihr nicht so war wie immer und sie wollte nun auch wissen, „welche Tablette“ das wieder in Ordnung bringt.

Wir haben diesen Besuch gemeinsam gemeistert, ich saß neben ihr, als sie versuchte, eine Uhr zu zeichnen. Bei vielen der anderen oft sehr „einfachen“ Fragen fiel es ihr schwer, sie zu beantworten und ich habe mit allen Fasern meines Körpers mit ihr gelitten.

Und da war sie nun, die Diagnose. Demenz. Wir beide hatten keine Idee was wir damit tun sollen und darüber reden konnten wir auch nicht. Uns fehlte die Perspektive, wie es nun weitergehen sollte.